Immer weniger Menschen leben im klassischen Familienmodell. Was bedeutet es, wenn Eltern sich trennen und neue Partner:innen dazu kommen? Welche Rechte haben eigentlich Stiefmütter und was ist das Geheimnis einer glücklichen Patchworkfamilie?
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Was ist eine Patchworkfamilie? Eine Definition
Eine Patchworkfamilie (synonym auch Stieffamilie oder Bonusfamilie) besteht aus mindestens zwei Erwachsenen und mindestens einem Kind. Die Möglichkeiten der Verwandtschaftsbeziehungen der Beteiligten variieren stark und können sehr komplex sein. Die einfachste Definition liegt möglicherweise in der Abgrenzung: eine Patchworkfamilie ist alles, was nicht (mehr) dem klassischen Modell “Mutter, Vater, Kind(er)” entspricht.
Was ist der Unterschied: Stieffamilie, Bonusfamilie oder Patchworkfamilie?
Sicherlich haben die meisten das Wort “Stiefmutter” schon einmal gehört. Seltener wird von der “Patchworkfamilie” gesprochen. “Bonusfamilie” klingt eher wie ein finanzieller Zuschuss. Eines ist jedenfalls sicher, mit Geld hat es nicht zu tun, dass ich mich für den Begriff Patchworkfamilie entschieden habe.
Stieffamilie
vom giftigen Apfel
Ursprünglich meinte die Vorsilbe “Stief” (vom althochdeutschen “stiob”), “hinterblieben” oder “verwaist”. Bei der Benutzung kann also davon ausgegangen werden, dass jemand Nahestehendes verstorben ist. Allein diese negative Konnotation könnte ausreichen um sich von der Bezeichnung “Stieffamilie” zu distanzieren. Längst muss nicht mehr gestorben werden.
Zudem steht der Begriff durch etliche klassische Märchen in Verbindung mit einer bösen Figur. Aschenputteln wird von der Stiefmutter ihrer gesellschaftlichen Stellung beraubt und muss fortan niedere Dienste erledigen. Der Vater von Hänsel und Gretel wird von der Stiefmutter dazu überredet die Kinder im Wald auszusetzen und Schneewittchen erfährt gleich mehrere Mordversuche durch die Stiefmutter.
Wer denkt bei der Benutzung der Vorsilbe “Stief”, da nicht an vergiftete Äpfel?
Bonusfamilie
wenn der Bonus keiner ist
Der Begriff “Bonusfamilie” wurde durch den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul geprägt. Die Grundidee ist, dass neue Familienmitglieder als Bonus zur Ursprungsfamilie hinzu kommen. Grundsätzlich scheint diese positive Herangehensweise an das Themenfeld begrüßenswert. Menschen die von stark negativen Erlebnissen mit neuen Familienbeteiligten berichten, können diesen Begriff allerdings als Belastung empfinden.
Patchworkfamilie
Bunt und wild
Ein “Patch” ist ein Stück Stoff, “work” bedeut “arbeiten”. Gemeinsam meinen diese beiden englischen Begriffe eine bunte, aus verschiedenen Teilen und Materialien zusammengenähte Oberdecke. Als Metapher für eine Familie mit Beteiligten verschiedener Verwandtschaftsverhältnisse, eignet sich der Begriff “Patchworkfamilie” ideal. Durch das Hinzufügen einzelner Flicken ergeben sich bunte Muster und neue Details. Die Nähte zwischen den Stoff-Elementen sind meist gut sichtbar. Es gibt dunkle und helle Teile, schillernde und matte… Während der Begriff “Stieffamilie” zu negativ und der Begriff “Bonusfamilie” zu positiv zu sein scheint, bietet der Begriff Patchworkfamilie die nötige Neutralität und den angemessenen Spielraum für individuelle Interpretationen der eigenen Familie.
Ab wann ist man eine Patchworkfamilie?
Wenn biologische Eltern sich trennen und ein Eltern-Teil sich mit einem weiteren Erwachsenen verpartnert, der oder die nicht Mutter oder Vater des Kindes (oder der Kinder) ist, kann diese neue Person als Patchwork-Elternteil bezeichnet werden und begründet damit die Patchworkfamilie. Inwiefern Patchwork-Eltern in die Erziehung der Patchwork-Kinder involviert sind, ist individuell sehr unterschiedlich. Jede Familie definiert die Rolle und die Aufgaben für sich selbst.
Ein Beispiel
Jan und Britta, die leiblichen Eltern von Tim haben sich getrennt. Nach einiger Zeit findet Tims Vater eine neue Partnerin, Sophie. Sophie ist nun die Patchwork-Mutter (Stiefmutter) von Tim.
Sophie hat bereits aus einer vorherigen Beziehung eine Tochter, Lili. Jan ist Lilis Patchwork-Vater (Stiefvater).
Die beiden Kinder Tim und Lili sind Patchwork-Geschwister (Stiefgeschwister).
Jan und Sophie bekommen gemeinsam den kleinen Fritz.
Fritz und Lili sind durch die gemeinsame Mutter biologisch als Halbgeschwister miteinander verwandt. Ebenso sind Fritz und Tim biologische Halbbrüder, da sie den gleichen Vater haben. Lili und Tim sind soziologisch, als Patchworkgeschwister (Stiefgeschwister), verwandt.
Die Patchworkfamilie aus rechtlicher Sicht
Das deutsche Recht geht grundsätzlich davon aus, dass biologische, genetische, rechtliche und soziale familiäre Faktoren gemeinsam gegeben sind (vgl. Familie). Der Begriff Patchworkfamilie (Stieffamilie/Bonusfamilie) kommt in keiner Version in der Rechtssprache vor. Die Berücksichtigung von pluralen Lebensentwürfen findet sich bisher ausschließlich im Falle einer Adoption, einer Eheschließung oder eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Gesetze und Regelungen, die Patchworkfamilien betreffen können, sind daran gebunden, dass das Erwachsenen-Paar verheiratet ist (im Gesetz heißt es: “…Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner sind”). Dazu gehören:
- das kleine Sorgerecht (BGB)
- ein Patchwork-Vater oder eine Patchwork-Mutter darf über Angelegenheiten des täglichen Lebens des Patchworks-Kindes mitentscheiden. Das leibliche Elternteil muss das Einverständnis hierzu abgeben und alleinig sorgeberechtigt sein.
- Bei sehr hoher Dringlichkeit (“Gefahr im Verzug”) kann das Patchwork-Elternteil alle Entscheidungen zum Wohl des Kindes treffen. Das leibliche Elternteil muss sofort darüber informiert werden.
- Berücksichtigungen durch das Steuer- und Sozialgesetz z.B. bei
- Sonderbeurlaubung
- Kinderkrankengeld
- Absetzung beim Finanzamt im Lohnsteuerverfahren
Wie gelingt eine Patchworkfamilie?
Ob eine Patchworkfamilie gelingt ist meist eine Frage der “Haltung”. (vgl.: was macht eine gute Familie aus?) Wenn vergangene Konflikte und Verletzungen überwunden wurden und die Mehrzahl an Menschen als Bereicherung verstanden wird, kann es richtig gut funktionieren. Eine Veränderung der Perspektive und die Anerkennung der eigenen Grenzen und der Bedürfnisse anderer, vor allem die der Kinder, erleichtert die Transformation hin in eine neue Form des Zusammenlebens.
Vorteile der Patchworkfamilie
Je nach Blickwinkel können sich mehrere Vorteile einer Patchworkfamilie ergeben. Kinder haben häufig eine relativ pragmatische Sicht darauf und eine schnelle Antwort parat: Patchwork bedeutet mehr Geschenke. Wenn z. B. die Patchwork-Mutter und vielleicht sogar noch deren Eltern mitschenken, dann ist Weihnachten wirklich ein Fest und der Geburtstagstisch reich bestückt.
Aber auch vielfältige Interessen oder Fähigkeiten der hinzukommenden Erwachsenen können als Bereicherung erlebt werden. Durch die verschiedenen Charaktere und Biographien entstehen Lernfelder und Erfahrungsspielräume, welche kindliche Entwicklung fördern können.
Auch für die Erwachsenen bietet das Patchwork-Leben Möglichkeiten, die es im klassischen Familienalltag nicht gibt. Die gewährten Auszeiten, die die verschiedenen Betreuungsmodelle bieten, schaffen Freiräume die ganz neu gestaltet werden können. Die Aufteilung von Aufgaben kann Entlastung enthalten und die gemeinsame Zeit wird häufig als qualitativ und intensiv empfunden.
Für Menschen, die als Patchwork-Eltern hinzukommen, und keine eigenen Kinder haben, ergeben sich Verbindungen und Beziehung die das Leben bereichern und emotional füllen können.
8 Tipps für eine gelingende Patchworkfamilie
1.
Wir haben ein hohes Motiv an Kontrolle für unser Leben. Dies schließt die Gestaltung unserer familiärer Verbindungen mit ein. Es gibt oft große Sicherheit und damit mehr Zufriedenheit, wenn wir Dinge klar abgrenzen und regeln. Wer darf/muss/kann was wann? – z.B. beim Kindergeburtstag?
Formulieren Sie Regeln und definieren Sie Ihre Grenzen
2.
Das Zwischenmenschliche, die Liebe, die Fürsorge, die Beziehung, all das wir für Familienmitglieder verspüren, wird nicht weniger, wenn mehr Menschen beteiligt sind. Es nutzt sich nicht ab, es löst sich nicht auf und man kann es nicht wegnehmen.
Haben Sie keine Angst vor neuen Bezugspersonen
3.
Keiner kann alles. Aber mehr können mehr. Neue Beteiligte bringen neuen Input und erweitern den Horizont, neue Kompetenzen können wachsen und sich entfalten.
Zeigen Sie Interesse aneinander und fragen Sie nach
4.
Die Anforderungen an die Gestaltung des Lebens werden immer vielschichtiger. Durch das Kennenlernen unterschiedlicher Lebensentwürfe können wir profitieren und resilienter (widerstandsfähiger) werden.
Bleiben Sie wertfrei und akzeptieren Sie einander
5.
Die Gestaltung des Alltages kann sehr anstrengend sein. Vor allem in Patchworkfamilien gibt es häufig Phasen, in denen Erwachsene sehr auf sich gestellt sind. Sich gegenseitig als Unterstützung im Alltag zu betrachten und sich zu involvieren kann Vieles erleichtern.
Bitten Sie um Hilfe
6.
Niemand kann es allen recht machen. Wir alle haben Bedürfnisse denen wir folgen dürfen sollten. Dabei geschieht es, dass wir Grenzen anderer überschreiten und diese verletzen. Nicht immer kann dies vermieden werden. Trotzdem lohnt es sich einfühlsam zu sein.
Reflektieren Sie die Auswirkungen Ihrer Handlungen
7.
Vor allem in Patchwork-Modellen in denen Kinder oder Erwachsene zwischen Haushalten wechseln, ist eine wechselseitige Kommunikation in Bezug auf die Kinder wichtig, um den Alltag gelingend zu meistern und alle Aspekte zu berücksichtigen.
Sprechen Sie miteinander und tauschen Sie sich aus
8.
Beziehungen müssen geknüpft und verfestigt werden. Vertrauen muss aufgebaut werden. Das geht nicht über Nacht. Durch gemeinsame Erlebnisse und das positive Miteinander wächst das Gemeinschaftsgefühl.
Geben Sie sich Zeit